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Reziprokes Empowerment in der Entwicklungszusammenarbeit: It takes two to tango umbruch aufbruch. Entwicklungstagung 2014 Autoren: Mag.ª Corinna Pummer Mag. Herwig Pilaj

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Abstract Dieser Beitrag stellt reziprokes Empowerment als ein viables Modell für Entwicklungszusammenarbeit im 21. Jahrhundert vor. Ausgangspunkt ist die fragwürdige Eindimensionalität von Entwicklungsanstrengungen im internationalen Feld. Die hegemoniale Haltung reproduziert Machtverhältnisse und steht somit einer Entwicklung im Sinne einer Befreiung entgegen. Um in einer interdependenten und multipolaren Weltordnung gegenseitige Veränderungsprozesse anzuregen, schlagen wir das Konzept von reziprokem Empowerment vor. Reziprokes Empowerment hat ein gutes Leben für alle WeltbürgerInnen zum Ziel. Reziprokes Empowerment ist dialogisch und stellt sich den Spannungsfeldern von Entwicklung. In diesem Sinne umarmt reziprokes Empowerment die Asymmetrie und bewirkt Bildungs- und Veränderungsprozesse auf beiden Seiten. This article presents reciprocal empowerment as a viable model for development cooperation in the 21st century. Starting point is the dubious onesidedness of international development initiatives. The hegemonic attitude reproduces power structures and thus prevents development in the sense of liberation. In order to provoke reciprocal change within an interdependent and multipolar world, we propose reciprocal empowerment as a conceptual framework. The goal is a good life for all people. Reciprocal empowerment is based on dialogue and acknowledges the conflicting priorities of development. It embraces asymmetry and generates a process of change and mutual learning on both sides. Keywords Entwicklungszusammenarbeit, Empowerment, Reziprozität Abkürzungsverzeichnis EZA = Entwicklungszusammenarbeit MDG = Millennium Development Goal

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1 Auftakt Schenkt man gegenwärtigen Gesellschaftsanalysen und entwicklungspolitischen ExpertInnen Glauben, befinden wir uns in einer von fundamentalem Umbruch geprägten Epoche. Der Blick richtet sich dabei vorwiegend auf die zunehmend interdependente und multipolare Weltgesellschaft.1 Globalisierungsprozesse resultieren in einer Verschiebung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse.2 Die westliche Vorherrschaft beginnt bereits zu bröckeln. Bisher galt die Armutsreduzierung im entwicklungspolitischen Diskurs als vordergründiges Handlungsmotiv. „Teile und herrsche“ heißt es jedoch bei Paulo Freire,3 der vermeintlich gut gemeinte globale Handlungen als Instrument zur heimlichen Machtreproduktion entlarvt. Zunächst ist ganz allgemein festzustellen: Nachhaltig erfolgreiche Strategien beruhen auf einer realistischen Einschätzung der Situation. Im Umkehrschluss: Wer die Lage in ihrer Komplexität völlig verkennt, wer Menschen, Beziehungen und kausale Zusammenhänge nur im ethnozentristischen Tunnelblick wahrnimmt, der wird im besten Fall nichts bewirken, und im schlechtesten Fall nur Schaden anrichten. Die Frage ist also – noch vor jedem Handeln: Aus welchem Selbst- und Weltverständnis heraus handeln AkteurInnen der EZA? Und in weiterer Folge: Wie könnte ein Selbst- und Weltverständnis aussehen, das ein fruchtbarer Boden für erfolgreiche EZA-Strategien und –Projekte ist? Unser Vorschlag dazu – sicherlich nicht der einzig mögliche – ist das Verständnis von EZA als reziprokes Empowerment, das heißt, als gegenseitiger Bildungsprozess. 1 Juchler, I., Unipolare oder Multipolare Weltordnung? In: Politik und Entwicklung (2014), 68-69. 2 Mattersburger Kreis, Worum geht es? Thesenpapier Globalisierung ent-wickeln, in: Faschingeder, G./Ornig, N. (Hg.), Globalisierung ent-wickeln. Eine Reflexion über Entwicklung, Globalisierung und Repolitisierung, Wien 2005, 40. 3 Freire, P., Pädagogik der Unterdrückten. Bildung als Praxis der Freiheit, Reinbek bei Hamburg 1973 (1984), 119.

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Im ersten Teil kritisieren wir die Eindimensionalität von Entwicklungsanstrengungen. Diese ergibt sich aus der hegemonialen Haltung, die sowohl in Entwicklungsdefinitionen als auch in internationalen Agenden und Programmen durchscheint. Im Anschluss schlagen wir ein neues Konzept vor: Reziprokes Empowerment. Wir wählen damit ganz bewusst einen Terminus, der Fortschritt suggeriert und der auch in entwickelten- und Schwellenländern positive Assoziationen auslöst. Wir schreiben aus der Sicht von sozialen Akteuren, die selbst im Feld der EZA tätig sind. Widersprüche aus der Praxis haben uns veranlasst, eine neue Idee von EZA sowohl für die entwicklungspolitische Forschung als auch für Aktivitäten im Feld fruchtbar zu machen. 2 Eindimensionalität in der EZA Seit Beginn des entwicklungspolitischen Zeitalters hat sich eine einseitige Sichtweise herausgebildet. Es sind die „kolonialen Geister“4 die immer noch, vielleicht subtil, aber doch unnachsichtig, ihren hegemonialen Unfug treiben. Diese Eindimensionalität begründet sich historisch in der Kolonialgeschichte und dem europäischen Verständnis von Überlegenheit und Dominanz. Seit der europäischen Entdeckungs- und Eroberungswelle, hat Europa seine Ideen von Entwicklung in die restliche Welt implantiert. Nuscheler5 schreibt dazu: „Entwicklungsstrategien wurden immer im Norden für den Süden ausgedacht und mit Geld, Gütern und sogenannten EntwicklungsexpertInnen dorthin exportiert.“ Dies führte zur Objektivierung des Südens. „Falsche Barmherzigkeit“6 wirft die Befreiungspädagogik den Eliten vor, die es schafften, andere auf den Status von Objekten zu reduzieren. 4 Veissére S., The Ghosts of Empire, Wien 2011. 5 Nuscheler, F., Entwicklungspolitik. Eine grundlegende Einführung in die zentralen entwicklungspolitischen Themenfelder Globalisierung, Staatsversagen, Hunger, Bevölkerung, Wirtschaft und Umwelt, Bonn 2005. 6 Freire, Pädagogik der Unterdrückten, 32.

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Auch wenn heute im Paradigma der Post-Washington-Agenda Elemente wie Ownership, Verantwortung, Partizipation und Empowerment enthalten sind7 und in der Pariser Deklaration über die Effektivität von Hilfsleistungen eine zunehmende Partnerschaftsorientierung wahrzunehmen ist,8 funktionieren von außen aufoktroyierte Aktionen nicht, wenn den Betroffenen die Zusammenhänge und Bedeutungen verborgen bleiben.9 Die Einseitigkeit im EZA-Diskurs zeigt sich im ethnozentristischen Blick, mit dem andere Kulturen bewertet werden. Sie zeigt sich im Streben globale Hilfe zu leisten und eine vermehrt EmpfängerInnen- orientierte Haltung einzunehmen, auch wenn im Endeffekt die Spielregeln von den Eliten bestimmt werden. Sie zeigt sich im Dominanzverhalten Einzelner gegenüber anderen ErdenbürgerInnen. Für eine zukunftsfähige Weltgesellschaft empfiehlt Nussbaum10 eine Erziehung zur Steigerung der Empathiefähigkeit aller Menschen. 2.1 EZA – ein kontroverses Feld Das zentrale Element des reziproken Empowerment-Ansatzes ist also die Gegenseitigkeit als Gegenkonzept zur Eindimensionalität. Diese Eindimensionalität kann verschiedene Formen annehmen. Sie kann sich sozusagen unerkannt in Theorie und Praxis einschleichen. Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man meinen, das Problem der Eindimensionalität sei schon längst gelöst: Und zwar durch den Paradigmenwechsel von „Entwicklungs-Hilfe“ auf „Entwicklungs- Zusammenarbeit“. Das Problem liegt jedoch viel tiefer. Wir behaupten, dass sich 7 Küblböck, K., Kontroversen in der Entwicklungsdiskussion, in: Freudenschuß-Reichl, I./Bayer, K. (Hg.), Internationale Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, Wien 2008, 29. 8 Vereinte Nationen, Paris Declaration on Aid Effectiveness, online: http://www.oecd.org/dac/effectiveness/35023537.pdf [am 03.05.2014]. 9 Freudenschuß-Reichl, I./Bayer, K. (Hg.) Internationale Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, Wien 2008, 4. 10 Nussbaum, M.C., Nicht für den Profit, Überlingen 2012, 136f.

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viele Menschen, auch viele ExpertInnen, zumindest heimlich im Hinterkopf, EZA noch immer wie ein Verhältnis zwischen Chirurg und Patient vorstellen – in der männlichen Formulierung, nebenbei bemerkt, um der Einseitigkeit auch in diesem Punkt Genüge zu tun: Der Patient sind die Entwicklungsländer. Ziel ist die Bekämpfung ihrer „Krankheit“ Armut und deren Folgen. Der Patient liegt friedlich am OP-Tisch. Er wurde – selbstverständlich mit seinem ausdrücklichen Einverständnis – narkotisiert. Der Chirurg ist der reiche Norden, mittlerweile vielleicht auch andere aufstrebende Länder wie China. Der Chirurg ist der Experte. Er trägt die Verantwortung. Operiert wird immer nur am Patienten – wer käme schon auf die absurde Idee, die Gesundheit des Arztes zu hinterfragen? Nach Galeano11 ist „Entwicklung (...) eine Reise mit mehr Schiffbrüchigen als Seefahrern.“ Vier Jahrzehnte später, in der derzeit geführten Diskussion über die Ziele und Möglichkeiten von EZA, spalten sich zwei entgegengesetzte Positionen: die OptimistInnen und die PessimistInnen. Auffallend ist jedoch, dass sich auf beiden Seiten die Einseitigkeit wiederfindet. Nach Prämissen des Post- Development-Ansatzes, und damit einiger EntwicklungsgegnerInnen, wird die Schuld für die gegenwärtige Misere einiger Erdteile der Entwicklungshilfe selbst zugeschoben. Auch Dambisa Moyo12 fordert in ihrer Streitschrift „Dead Aid“ das Ende der westlichen Entwicklungshilfe. Entwicklungshilfe sei kontraproduktiv, sie zerstöre örtliche Strukturen und den Geist der Eigenständigkeit. BefürworterInnen wie J. Sachs stehen hingegen für ein hoffnungsvolles Bild von EZA. In „The End of Poverty“ vergleicht der Ökonom Jeffrey Sachs13 Länder mit PatientInnen (!), die eine bestimmte Medizin benötigen. Sie sind komplexe Systeme, die einer differenzierten Diagnose unterzogen werden sollten. Zwischen OptimistInnen und PessimistInnen gibt es zahlreiche Nuancen. „Entwicklung ist 11 Galeano, E., Die offenen Adern Lateinamerikas, Wuppertal 1971 (1973), 197. 12 Moyo, D., Dead Aid, London 2011. 13 Sachs, J., The End of Poverty. Economic Possibilities for our time, New York 2005, 288.

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nämlich eine Totalität, ein widersprüchliches Ganzes“, könnte man mit Novy14 zusammenfassen. 2.2 Eindimensionale Definitionen und Termini Das beschriebene Bild des Arzt-Patienten-Verhältnisses mag etwas übertrieben erscheinen. Faktum ist aber, dass EZA in Theorie und Praxis in einen derartigen Deutungsrahmen eingebettet ist. Beispiele gibt es mehr als genug. Man denke etwa an gebräuchliche „moderne“ Zieldefinitionen, wie jene von Fritsche und Behr15: „Der Begriff EZA subsumiert Maßnahmen und Aktivitäten, die von unterschiedlichen AkteuerInnen (...) mit dem Oberziel einer (...) mehrdimensionalen Verbesserung der Lebensbedingungen in den so genannten Entwicklungsländern durchgeführt werden.“ Das von Dieter Nohlen herausgegebene Lexikon der Dritten Welt16 definiert Entwicklungspolitik mit einer noch stärkeren Betonung der hegemonialen Einseitigkeit wie folgt: „Unter Entwicklungspolitik ist die Summe aller ... Maßnahmen zu verstehen, die von Entwicklungsländern und Industrieländern eingesetzt ... werden, um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Entwicklungsländer zu fördern, d.h. die Lebensbedingungen der Bevölkerung in den Entwicklungsländern zu verbessern.“ 14 Novy, A., Entwicklung gestalten. Gesellschaftsveränderung in der Einen Welt, Frankfurt am Main 2002, 49. 15 Fritsche, A./Behr, M., Mächtige Entwicklungszusammenarbeit in der globalen Welt, in: Kolland et al. (Hg.), Soziologie der globalen Gesellschaft, Wien 2011, 356f. 16 Nohlen, D., Lexikon Dritte Welt. Länder, Organisationen, Theorien, Begriffe, Personen, Reinbek bei Hamburg 2002, 224.

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Es geht also primär darum, Entwicklungsländer zu fördern. Kein Wort bezieht sich jedoch auf erforderliche Veränderungen auf Seiten der entwickelten Länder. Sie gelten als unfehlbar und scheinen damit unantastbar. 2.3 Das Dilemma der Unterentwickelten Länder des Südens befinden sich in einem Dilemma: Sie zeigen wenig Interesse, die Standards des Nordens als unrealistisches Lebensmodell zu hinterfragen. Auf diese Weise bejaht der Süden die gesellschaftliche Überlegenheit des Nordens und sieht sich selbst als unfähig. Wolfgang Sachs17 konstatiert: „Die Bekenntnis zur Entwicklung bringt den Süden kulturell und politisch in einen Zustand struktureller Schwäche, was unter anderem zu der absurden Situation geführt hat, daß [sic!] der Norden sich als Wohltäter präsentieren konnte.“ Dieses Weltbild stärkt den Ländern des Nordens den Rücken für weitere Wachstumsaktionen. Da die Unterdrückten ihre Situation internalisiert haben, so Freire,18 „fürchten sie sich vor der Freiheit.“ Sie sind solange in einer Herrschaftsstruktur gefangen, bis sie durch Bewusstseinsbildung „conscientização“ ihre Situation erkennen und durch Selbstbestimmung und Verantwortung austauschen.19 2.4 Internationale Agenden Sämtliche internationale Agenden und Policies handeln von Strategien zur Reduzierung von extremer Armut in sogenannten unterentwickelten Ländern. Die „Agenda for Change“ der Europäischen Kommission20 ist eine Reform bezüglich der budgetären Allokation und basiert auf Differenzierung und Konzentration. Der 17 Sachs, W., Globale Umweltpolitik im Schatten des Entwicklungsdenkens. In: Sachs, W. (Hg.), Der Planet als Patient. Über die Widersprüche globaler Umweltpolitik, Berlin/Basel/Boston 1994, 22. 18 Freire, Pädagogik der Unterdrückten, 34. 19 Ebd. 34f. 20 Europäische Kommission, Increasing the impact of EU Development Policy: An Agenda for Change, Brüssel 2011, 9.

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Fokus auf Partnerschaft ist durchgängig ein neuer Akzent. Der länderspezifische Fokus wird in den Mittelpunkt gerückt. Auch das achte MDG21 (2000) appelliert „[to] develop a global partnership for development”. Die Agenda 21 ist ein Leitpapier zur nachhaltigen Entwicklung. Sie verbindet Entwicklungs- und Umweltziele und beinhaltet eine Aufforderung zur globalen Zusammenarbeit für eine nachhaltige Entwicklung.22 Obwohl dabei auch von „Veränderung der Konsumgewohnheiten“23 die Rede ist, sind konkrete Vorschläge zur Verringerung des materiellen Überflusses nicht auffindbar. Wolfgang Sachs24 kritisiert dazu: „Gefragt waren also nicht Alternativen zur Entwicklung, sondern lediglich Alternativen innerhalb der Entwicklung.“ Mit der Paris-Deklaration über die Wirksamkeit der EZA wird 2005 ein Dokument in Kraft gesetzt, welches durch mehr Eigenverantwortung, Harmonisierung und Partnerausrichtung die Effektivität der internationalen Kooperation steigern will.25 Nussbaum26 erfasst die globalen Dependenzen kurzum: „Mehr als je zuvor sind wir von Menschen abhängig, die wir nie gesehen haben, und sie sind von uns abhängig. Die – ökonomischen, umweltbedingten, religiösen und politischen – Probleme, die wir zu lösen haben, betreffen die ganze Welt. Es besteht keine Hoffnung, sie zu lösen, wenn Menschen (...) nicht zusammenkommen und (...) zusammenarbeiten, wie es nie zuvor der Fall war.“ Partnerschaft gilt für reziprokes Empowerment als Grundvoraussetzung. Was sich in den Definitionen von Entwicklung als einseitige, hegemoniale Haltung entpuppt, kann auch in internationalen Programmen zu Entwicklung beobachtet 21 Vereinte Nationen, Millennium Development Goals, online: http://www.unmillenniumproject.org/goals/gti.htm#goal8, [08.08.2014]. 22 Vereinte Nationen, Agenda 21. Konferenz zur Umwelt und Entwicklung, Rio de Janeiro 1992, 1. 23 Ebd. 18. 24 Sachs, W. Der Planet als Patient, 28. 25 Vereinte Nationen, Paris Declaration on Aid Effectiveness. 26 Nussbaum, Nicht für den Profit, 97.

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werden. Auch wenn Partnerschaft momentan ganz oben steht, bezieht sich diese auf alleinige Veränderungen auf Seiten der armen Länder. Wieso wird immer noch davon ausgegangen, dass Veränderung oder Entwicklung nur auf Seiten der sogenannten Unterentwickelten stattfinden soll? 3 Reziprokes Empowerment – ein viables Modell im 21. Jahrhundert? Der große konzeptuelle Schwachpunkt der eindimensionalen Perspektive von EZA ist: Gefangen in diesem einseitigen Selbst- und Weltverständnis kommen sowohl der „Chirurg“ als auch der „Patient“ gedanklich nicht weiter als bis zu der Frage: Wie können wir die Krankheit des Patienten bekämpfen? Diese Frage ist wichtig und richtig. Aber sie ist eben nur die eine Seite der Geschichte. In diesem Rahmen wird sich der Patient immer unterlegen fühlen. Mit allen dazugehörigen Reaktionen, von der erlernten Hilfslosigkeit, über Widerstand bis hin zur Verweigerung der sogenannten „Zusammenarbeit“. Der Chirurg hingegen nimmt sich als überlegener Wohltäter war. Und eine ganz zentrale Frage wird bei diesem Weltverständnis mit Sicherheit niemals auftauchen: Wie gesund ist eigentlich der Chirurg? 3.1 Gegenseitigkeit praktizieren „Man braucht den anderen und versucht den Tanz mit der Welt, man führt sich gegenseitig, erspürt den gemeinsamen nächsten Schritt und verschmilzt mit den Bewegungen des anderen zu ein und derselben Person, zu einer Wesenheit, die mit vier Augen sieht“ – Heinz von Foerster.27 27 Foerster, H. von/Pörksen, B., Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners, Heidelberg 1998, 41.

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Nach Marcel Mauss28 gilt der Gabentausch dem Aufbau und der Bekräftigung gesellschaftlicher Beziehungen. In diesem Zusammenhang sind Gaben als sogenannte „tie-signs“ aufzufassen.29 Geben, Nehmen und Erwidern sind die Hauptaktivitäten. Empowerment-Prozesse entsprechen nur vereinzelt linearen Erfolgsbiografien. Das Stärken des Selbstwertes passiert oft auf Umwegen und in spezifischen Entwicklungstakten.30 Reziprokes Empowerment findet im „Dialog als Begegnung von Menschen, der gemeinsamen Aufgabe des Lernens und Handelns“ statt.31 Das Interaktionssystem der AkteurInnen in der EZA ist kulturanthropologisch aufschlussreich, weil sich in ihm Rollenmuster wiederspiegeln, die GeberInnen und NehmerInnen in ihrer Komplementarität erfassen. Freire32 charakterisiert den echten Dialog zwischen Menschen als Mittel zur Ermächtigung. Dieser Dialog geht nicht von den Eliten aus, sondern von den Benachteiligten. „Im Dialog von unten“, so Novy33, „wird gemeinsam die Welt gelesen“. Stegbauer34 resümiert, dass „Reziprozität etwas mit Austauschprozessen zu tun [hat], die zu den Grundformen sozialer Beziehungen gehören.“ Der Prozess von Ermächtigung spielt sich im Spannungsfeld zwischen Polarität und komplementären Wirkungsmechanismen von Subjekten und ihrer sozialen 28 Mauss, M., The Gift, the Form and Reason for Exchange in Archaic Societies, London 1990. 29 Adloff, F./Steffen, M. (Hg.) (2005), Vom Geben und Nehmen. Zur Soziologie der Reziprozität. Frankfurt/New York 2005, 13. 30 Herriger, N., Empowerment in der Sozialen Arbeit. Eine Einführung, Stuttgart 2010, 217. 31 Freire, Pädagogik der Unterdrückten, 73. 32 Ebd. 53. 33 Novy, A., Die Welt ist im Werden. Über die Aktualität von Paulo Freire, in: Mattersburger Kreis für Entwicklungspolitik an den österreichischen Universitäten (Hg.): Journal für Entwicklungspolitik (2007), Paulo Freire Heute, 38. 34 Stegbauer, C., Reziprozität. Einführung in soziale Formen der Gegenseitigkeit, Wiesbaden 2011, 14.

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Umgebung ab. Werner Lenz35 schreibt dazu: „Ich bilde mich in und durch Beziehungen.“ Je nach Balance bestimmt Reziprozität sowohl die Beziehungsintensität als auch den Beziehungsverlauf zwischen Individuen. „Emanzipierte“ Partnerschaften mit guter gemeinsamer Aufteilung sind ebenso möglich wie Ausbeutungsverhältnisse und Ungleichheiten,36 wobei reziprokes Empowerment erstere anstrebt. Ganz besonders wünschenswert ist im Feld der EZA die Achtsamkeit gegenüber den Partnerländern. Dabei ist jedoch zwischen entwicklungsbehinderndem Traditionalismus und identitätsstiftenden Traditionen zu unterscheiden.37 Vorgefertigte Konzepte sind wenig sinnvoll. Es gilt hierbei, sich auf die Arbeitsweisen der PartnerInnen einzulassen, geduldig zu sein und beteiligte Menschen nicht zu überfordern. Herriger38 bringt dies auf den Punkt: „Am Ende einer Empowerment-Beziehung bleibt bei mir vielfach ein bitterer Nachgeschmack: das Wissen, daß [sic!] die gemeinsame Arbeit nur ein erstes Anstoßen hat sein können, daß [sic!] wir gemeinsam nur einige Schritte gegangen sind und daß [sic!] es nicht in meiner Macht steht, diese Schrittfolge bis zu einer wünschenswerten Zielmarke voran zu treiben.“ 3.2 Menschenbild und Bildungsverständnis Freire verlangt Achtung vor den Hilfsbedürftigen und lehnt falsches Romantisieren ab. In seiner Pädagogik der machbaren Träume bekundet er, dass Außenstehende im Grunde „Touristen“ bleiben. Sie und die Einheimischen wissen, „dass sie jederzeit wieder weggehen könnten“.39 Dieses Wissen schafft eine unüberwindbare Distanz. Reziprokes Empowerment stellt sich dieser Distanz und möchte sie für ein gemeinsames, dialogisches Lernen im Sinne Freires nutzen. Die 35 Lenz, W., Bildung - eine Streitschrift. Abschied vom lebenslänglichen Lernen, Wien 2012, 31. 36 Stegbauer, Reziprozität, 17. 37 Mückler, H./Faschingeder, G. (Hg.), Tradition und Traditionalismus. Zur Instrumentalisierung eines Identitätskonzepts, Wien 2012. 38 Herriger, Empowerment in der sozialen Arbeit, ,218. 39 Freire, P., Pedagogia dos Sonhos Possíveis. Fundação Editora de UNESP, São Paulo 2001, 60.

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EntwicklungsgestalterInnen „drängen sich dabei niemals auf, sondern handeln als einfühlsame Beobachter in einer Haltung des Verstehens gegenüber dem, was sie sehen“.40 Ein solcher Dialog gleicht einem Tango. Tanzen heißt, sich einlassen und miteinander zu performen. Freires „kritische Mitforscher im Dialog“41 sind im reziproken Empowermentprozess die kritischen MitgestalterInnen von EZA. Eine freie Welt setzt voraus, dass sie nicht mehr in Herren und Sklaven eingeteilt wird,42 aber mit Asymmetrien gilt es weiterhin zu hantieren. Reziprokes Empowerment ist sich dieser Asymmetrien bewusst und möchte Asymmetrie umarmen. Reziprokes Empowerment stellt sich dem Spannungsverhältnis von Vereinnahmung und Befreiung. Das Konzept von reziprokem Empowerment ist gleichzeitig ein strategischer Begriff als auch eine Methode. Schon Leibniz charakterisiert Entwicklung als „Auswickeln von etwas Eingewickelten“. Er meint damit das Entfalten von versteckten Talenten. Entwicklung bedeutet nicht das Entstehen von grundsätzlich Neuem, sondern nur die Entfaltung des Vorhandenen. Auch Freire betont, dass Individuen nicht von außen befreit werden können.43 Diese Kraft soll von den Einzeln selbst ausgehen. Es ist ein Kraftakt, der beide Seiten, die Unterdrücker und die Unterdrückten, befreien kann. Der Unterdrückte, der das Ziel hegt, vollwertiger Mensch zu sein, muss den Widerspruch zwischen Unterdrücker und Unterdrücktem auflösen.44 Die entwicklungspolitische Folgerung, die sich aus diesem Leitsatz ergibt, könnte man mit Nuscheler45 formulieren: 40 Freire, Pädagogik der Unterdrückten, 92. 41 Ebd. 65. 42 Novy, A., Menschen machen Räume. Zum unglaublichen Bedeutungsverlust der Regionen in der Globalisierungsdebatte, in: Faschingeder, G./Ornig, N. (Hg), Globalisierung ent-wicklen. Eine Reflexion über Entwicklung, Globalisierung und Repolitisierung. Wien 2005, 33. 43 Freire, Pädagogik der Unterdrückten, 32. 44 Ebd. 43. 45 Nuscheler, Entwicklungspolitik, 226.

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„Entwicklung bedeutet nicht aus dem Passiv Entwickelt-Werden (etwa durch Entwicklungshilfe), sondern im Aktiv Sich-Entwickeln durch das Auswickeln der eigenen Fähigkeiten, je besondere Problemlagen zu meistern.“ Das Spannungsfeld zwischen Vereinnahmung und Befreiung stellt einen zentralen Zwiespalt im entwicklungspolitischen Diskurs dar. Ein Agieren zwischen den beiden extremen Polen gleicht häufig einer Gratwanderung. Dafür schlagen Giri und Van Ufford46 die Idee von MacIntyre47 vor: „Acknowledged dependence“ als viable Praxis, um mit den Unterschieden verschiedener AkteurInnen im Feld der EZA umzugehen. Sie befürworten eine Moral der Partizipation und stellen fest: „To participate in any particular relationship, neither the language of self-interest nor the language of benevolence is enough. Instead, it requires a language of giving and receiving in which both the self and the other, other and the self are giver and receiver at the same time.” Die Grenzen zwischen Vereinnahmung und Befreiung bleiben ein Graubereich. Was die einen als kleinen Stupser oder Nudge48 im Sinne eines libertären Paternalismus bezeichnen, verschreien andere bereits als unrechtmäßige Bevormundung. Novy49 unterscheidet universelle von partikulären Entwicklungskonzepten, positivistische von postmodernen Sichtweisen, Raum von Zeit oder Sein von Werden. Eine dialektische Denkweise verdeutlicht, dass „Veränderung und Bewegung Widersprüche mit sich bringen und nur durch Widersprüche vonstattengehen können“.50 46 Giri, A. K./Van Ufford, P. Q., A Moral Critique of Development: Ethics, Aesthetics and Responsibility. Working Paper 128, Aalborg University 2004, 28f. 47 MacIntyre, A., Dependent Rational Animal. London 1999. 48 Thaler, R. H./Sunstein, C. R., Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt, Berlin 2008. 49 Novy, Entwicklung gestalten. 50 Woods, A./Grant, T., Aufstand der Vernunft. Marxistische Philosophie und moderne Wissenschaft, Wien 2002, 56.

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3.3 Empathie, Reflexionsfähigkeit und geteilte Verantwortung als Träger für reziprokes Empowerment Einfühlungsvermögen basiert auf Empathie, also auf der Kompetenz zu „positionalem Denken“51 und der Fähigkeit, die Wirklichkeit aus der Perspektive des Gegenübers wahrzunehmen. Ziel einer Bildung zum Weltbürgertum sind selbständige, kritisch denkende und mündige Individuen mit „globalem Denkhorizont“52, die praktische Probleme der Gegenwart verantwortungsvoll und gemeinschaftlich lösen. Abbildung eins skizziert das dementsprechende Verständnis von EZA. Abbildung 1: Reziprokes Empowerment. Reziprokes Empowerment baut auf Empathie auf, um achtsam Entwicklung zu gestalten. Durch Reflexion blinde Flecken aufzudecken, die durch soziokulturelle Schemata, biografische Färbungen und Kontexte bestimmt werden, mindert die 51 Nussbaum, Nicht für den Profit, 53. 52 Ebd. 103.

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Gefahr, ethnozentristische Werte zu verbreiten. Die dritte Säule ist geteilte Verantwortung. Diese darf weder den „Entwickelten“ zugeschoben, noch von ihnen an sich gerissen werden. Reziprokes Empowerment baut auf einem Freiraum für eine gelingende Reflexion auf. Der erschaffene Freiraum ist ein Ort, in dem Widersprüche aus der Praxis der EZA und aus transkulturellen Beziehungsstrukturen reflektiert werden. Der Reflexionsfreiraum soll dazu anregen, Orientierungswissen zu gewinnen und Visionen für sinnvolle Handlungsoptionen zu entwerfen. Doch auch die Reflexion ist kein Allheilmittel, schließlich sind wir als Individuen im Käfig der eigenen Referenz gefangen.53 Die Überwindung des Ethnozentrismus ist schier unmöglich, da wir keine neutrale Position fernab von uns selbst einnehmen können. Unser Denken und Handeln sowie auch unsere Fähigkeit zur Selbstreflexion sind an unsere gesellschaftliche Einbettung gebunden. Reflexion dient der Erkenntnis, auch wenn das Wissen über mein Gegenüber nur fragmentiert oder verzerrt aufgenommen werden kann.54 3.4 Ein Umdenken für die Privilegierten Was bedeutet reziprokes Empowerment nun konkret für entwickelte und Schwellenländer? Veränderungsappelle sollten sich nicht nur an Länder des Südens richten. Auch die privilegierten Erdteile sollten ihren Entwicklungsstand überdenken und sich von der Fremdbestimmungen wie des Konsumdrangs befreien. Ein bescheideneres Leben könnte von anderen Kulturen gelernt werden. Gemeinsam, im echten Dialog, kann die Welt gelesen und neu benannt werden. 53 Aydt-Haßlinger, M. S., Woran scheitert interkulturelle Bildung? Dissertation 2012, 18ff. 54 Moosmüller, A., Interkulturelle Kommunikation aus ethnologischer Sicht, in: Moosmüller, A. (Hg.), Interkulturelle Kommunikation. Konturen einer wissenschaftlichen Disziplin, Münster 2007, 14.

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Lange galt die Überzeugung, dass die nördlichen Länder die Krone der sozialen Evolution repräsentierten. Dieses Bild von Dominanz muss heute in Anbetracht der ökologischen und sozialen Probleme hinterfragt werden.55 Ein Großteil der weltweiten Ressourcen wird von einer Minderheit in Anspruch genommen. Die Reduzierung von Verbrauch würde zu einer ethisch akzeptableren und dauerhaft erträglicheren Lebensführung führen. Banuri56 unterstreicht, dass für eine nachhaltige Entwicklung eine Umgestaltung der Konsummuster notwendig sei. Reziprokes Empowerment hat ein gutes Leben für alle WeltbürgerInnen zum Ziel. Das könnte für Menschen aus den reichen Gegenden eine Umorientierung vom Haben zum Sein bedeuten. Fromm57 unterscheidet: „Haben bezieht sich auf Dinge [...]. Sein bezieht sich auf Erlebnisse [...].“ Das Fundament und die Bedingungen für eine Daseinsform des Seins sind Autonomie, Mündigkeit, Freiheit und die Fähigkeit zu kritischem Denkvermögen.58 Paech59 sieht in der Befreiung vom Überfluss ein Empowerment-Potenzial der reichen Länder. In seinem Gegenentwurf, der Postwachstumsökonomie, postuliert er, dass „das einzig noch verantwortbare Gestaltungsprinzip für Gesellschaften und Lebensstile im 21. Jahrhundert (...) Reduktion heißt.“ 4 Fazit: Konsequenzen für die Praxis und Entwicklungsforschung Das Bild des Arztes, der selbst massiv Herzinfarkt-gefährdet ist, entspricht der zunehmend verbreiteten Einsicht, dass auch entwickelte Länder massive Probleme haben. Hinter den ökologischen Bedrohungen der Erde stehen dabei die 55 Sachs, Der Planet als Patient, 19. 56 Banuri, T., Die Konfliktlandschaft der Umweltdiplomatie, in: Sachs, W. (Hg.), Der Planet als Patient, Berlin/Basel/Boston 1994, 68. 57 Fromm, E., Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft, 1976 (2001), 71. 58 Ebd. 72f. 59 Paech, N., Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie. München 2012, 11.

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fragwürdigen Gestaltungsprinzipien der entwickelten Länder. Marktlogik, Überkonsumismus, und die Unfähigkeit zum sorgsamen Umgang mit Ressourcen. Was sich allerdings noch viel zu wenig durchsetzt, ist die Einsicht, dass gerade in diesen Bereichen Lernbedarf, oder besser Empowerment-Bedarf in den reichen Ländern besteht. Und dass gerade die sogenannten Entwicklungsländer in diesen Bereichen jene ExpertInnen sind, die man zu Rate ziehen sollte. Das verlangt natürlich eine gewisse geistige Flexibilität: den Arzt auch als Patienten zu sehen, und den Patienten auch als Arzt. Aber genau diese Befreiung von vorgefertigten Rollen – ganz im Freireschen Sinn – sehen wir als zukunftsfähiges Verständnis von EZA. Wenn AkteurInnen EZA nicht mehr als das Kurieren eines Patienten wahrnehmen, sondern als einen gegenseitigen Bildungsprozess, dann besteht die Aussicht auf Entwicklungs-Zusammen-Arbeit im besten Sinn des Wortes: „Entwicklung“ als aktives Auswickeln der eigenen Fähigkeiten im Sinn von Nuscheler,60 und „Zusammen“ im Sinn von MyIntyre:61 Weder Egoismus noch Altruismus ist die Lösung, sondern ein beiderseitiges Selbstverständnis als Gebender und Nehmender zugleich. Was kann reziprokes Empowerment also für die EZA leisten? In erster Linie wird die einseitige und hegemoniale Haltung im Entwicklungsdiskurs aufgedeckt. Die dialogische Aktion der EZA handelt nicht vom alleinigen Empowerment der Anderen, sondern soll die Einsicht zur Veränderung auch auf Seiten der entwickelten und Schwellenländer bewirken. Diese sollte sich in Theorie und Praxis wiederspiegeln. Da Ethnozentrismus nicht vollständig überwindbar ist, weil Individuen ihren Ort des „Ichs“ nicht verlassen können, bleiben die Erkenntnisse über die "andere Welt" fragmentiert. Hier liegen auch die Grenzen des Ansatzes von reziproken Empowerment. Machtverhältnisse können aufgeweicht werden, aber gewisse 60 Nuscheler, Entwicklungspolitik, 226. 61 MacIntyre, Dependent Rational Animal.

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Asymmetrien bleiben bestehen. Reziprokes Empowerment bedeutet also letztendlich, diese Asymmetrien zu umarmen. Lösen wir uns von dem einseitigen Bild der Arzt-Patienten-Beziehung, und orientieren wir uns stattdessen am Tanz. Der Tango ist ein Sinnbild für den positiven Umgang mit Asymmetrie. Beide machen etwas anderes, aber immer in Harmonie. Es gibt Führung, aber man erspürt gemeinsam den nächsten Schritt. EZA-AkteurInnen mit einem Selbst- und Weltverständnis, das auf Reziprozität aufbaut, werden viel eher die richtigen Fragen stellen: Wie können wir gegenseitig voneinander lernen? Wie können wir uns gemeinsam ent-wickeln? Wie können wir gemeinsam den nächsten Schritt setzen? „Tanzend lässt sich die Formel fürs Menschsein realisieren: Tango ergo sum – Ich berühre, also bin ich" – Wilhelm Schmid.62 62 Schmid, W., Die Kunst der Balance. 100 Facetten der Lebenskunst, Frankfurt am Main/Leipzig 2005.