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Rede auf die Gefallenen | Perikles (Seine Rede, Vol. 3)

drikkes
December 22, 2022

Rede auf die Gefallenen | Perikles (Seine Rede, Vol. 3)

Den gemeinfreien Text habe ich von hier übernommen.
Gestaltet worden ist die Präse mit iA Presenter.

drikkes

December 22, 2022
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Transcript

  1. In dem selben Winter veranstalteten die Athener nach väterlicher Sitte

    von Staatswegen ein Begräbnis der in diesem Krieg zuerst Gefallenen, und zwar auf folgende Weise: Sie stellten die Gebeine der Verschiedenen drei Tage vorher in einem dazu errichteten Zelt öffentlich aus, und jeder bringt, wenn er will, seinem Angehörigen eine Liebesgabe dar. Wenn aber die Bestattung erfolgt, so werden Särge aus Zypressenholz, je einer für jede Phyle, auf Wagen zum Begräbnisplatz gefahren; in diesen befinden sich die Gebeine je nach der Phyle, zu der jeder gehörte. Ein Ruhebett aber wird leer mit Decken verhüllt für diejenigen mitgeführt, die vermisst sind, ohne daß man sie zur Beerdigung hat auffinden können. Dem Leichenzug aber schließt sich an, wer da von Bürgern und Fremden will; auch die angehörigen Frauen erscheinen unter Wehklagen zum Begräbnis.
  2. Beigesetzt nun werden sie in der öffentlichen Grabstätte, die sich

    in dem schönsten Teil der Umgebung der Stadt befindet, und hier werden immer die im Krieg Gefallenen beerdigt, die bei Marathon gebliebenen ausgenommen: Deren Tapferkeit schien nämlich so außerordentlich, daß man auch ihre Beerdigung an Ort und Stelle veranstaltete. Wenn sie nun in die Erde versenkt sind, so hält ein von der Stadt hierzu erwählter Mann, der dazu die nötige Bildung besitz und sich einer vorzüglichen Achtung unter seinen Mitbürgern erfreut, an ihrem Grab eine angemessene Lobrede; sodann geht alles heim.
  3. So nun halten sie es mit dem Begräbnis und während

    des ganzen Krieges beobachteten sie, sooft sie dazu Anlass hatten, diese Sitte. Für diese ersten nun wurde PERIKLES, der Sohn des Xanthippos, zum Redner erwählt. Als demnach der Augenblick gekommen war, trat er vor der Grabstätte auf eine hohe Rednerbühne, die eigens dazu errichtet war, um so weit wie möglich in der Versammlung gehört zu werden, und sprach folgendermaßen: ...
  4. Die meisten Redner, die früher hier gesprochen haben, loben denjenigen,

    der durch das Gesetz diese Rede der Beerdigung beigefügt hat; denn ein solcher Nachruf zieme sich an dem Grab der im Krieg Gefallenen. Mir dagegen schiene es ausreichend zu scheinen, wenn Männer, die sich durch die Tat bewährt haben, die ehrenvolle Anerkennung gleichfalls durch die Tat gewährt würde, wie es in der Tat hier durch dieses öffentliche Begräbnis geschehen ist, und wenn man nicht die Verdienste vieler in die Hand eines einzelnen legen wollte, so daß sie danach glauben finden, je nachdem er gut oder minder gut gesprochen hat.
  5. Denn es fällt schwer, da in einer Rede das Angemessene

    zu treffen, wo man mit genauer Not auch nur für die einfache Tatsache rechten Glauben findet. Denn wenn der Zuhörer, der Augenzeuge gewesen und von Wohlwollen erfüllt ist, vielleicht glauben möchte, daß die Worte des Redners hinter seinen Wünschen und hinter seinem Wissen zurückbleiben, so erblickt derjenige, der nicht zugegen gewesen ist, aus Missgunst darin eine Übertreibung, sobald er etwas hört, das über seine eigene Kraft hinausgeht. Denn so weit ist das anderen gespendete Lob erträglich, als jeder sich für fähig hält, gleichfalls etwas von dem zu leisten, was er gehört hat; was aber darüber hinaus geht, betrachtet man sofort mit Mißgunst und daher auch mit Mißtrauen.
  6. Doch da unsere Vorfahren einmal diese Einrichtung so als angemessen

    befunden haben, muß auch ich dem Gesetz Folge leisten und versuchen, so weit als möglich den Wünschen und der Vorstellung eines jeden von euch zu entsprechen. Zuerst jedoch lasst mich von unseren Vorfahren anheben; denn es ist recht und geziemend, zugleich ihnen bei einer solchen Gelegenheit diese Ehre der Erwähnung zu erweisen. Denn sie haben durch ihre Tapferkeit dieses Land in ununterbrochener Folge von Geschlecht zu Geschlecht bis auf diese Stunde den Nachkommen als ein freies vererbt.
  7. Und wenn jene des Lobes wert sind, so sind es

    unsere Väter in noch höherem Grade. Denn sie haben zu dem, was sie empfangen hatten, die ganze Herrschaft, die wir besitzen, und das nicht ohne Kampf, hinzuerworben und uns, die wir jetzt leben, hinterlassen. Endlich aber haben wir selbst hier, die wir noch am Leben sind und zumal in vorgerücktem Alter stehen, den Bau, den sie begonnen hatten, weiter ausgeführt und die Stadt in allen Beziehungen aufs beste ausgerüstet, um für Krieg und Frieden sich selbst genug zu sein.
  8. Ich will jedoch hiervon die Kriegstaten, durch die jegliches erworben

    wurde, hier übergehen, will auch nicht erwähnen, wo wir selbst oder unsere Väter einen Angriff von Barbaren oder von Griechen, der uns bedrohte, zurückgeschlagen haben; denn was bedarf es langer Reden vor Männern, die selbst Zeugen jener Kämpfe gewesen sind? Dagegen will ich, bevor ich zu dem Lob dieser Gefallenen komme, zuvor darlegen, welche Grundsätze unseres Lebens uns dahin geführt haben und unter welchen Einrichtungen unseres öffentlichen und privaten Lebens unsere Macht so hoch gestiegen ist. Denn ich glaube, daß diese Worte nicht minder für die gegenwärtige Feier angemessen sind, wie es der ganzen Versammlung von Bürgern und Fremden ersprießlich sein wird, dieselben mit anzuhören.
  9. Wir leben nämlich unter einer Verfassung, die nicht die Einrichtungen

    anderer nachäfft. Vielmehr dienen wir selber eher als Vorbild, als dass wir andere nachahmen sollten. Der Name, den sie trägt, ist zwar der der Volksherrschaft, weil die Macht nicht in den Händen weniger, sondern einer größeren Zahl von Bürgern ruht. Ihr Wesen aber ist, dass nach den Gesetzen zwar alle persönlichen Vorzüge niemandem ein Vorrecht verleihen, hinsichtlich seiner wirklichen Geltung aber jeder, wie er sich in etwas auszeichnet, im Staatsdienst seine volle Anerkennung findet: eine Anerkennung, die nicht auf Parteigetriebe, sondern auf wirklichem Verdienst ruht. Mag daher jemand arm sein, so ist ihm doch, sofern er nur dem Vaterland Nutzen zu stiften imstande ist, durch keine Niedrigkeit der Geburt der Weg zur Auszeichnung verschlossen.
  10. Genießen wir aber so als Bürger DIE VOLLE FREIHEIT, so

    beschränken wir uns auch in unserem täglichen Tun und Treiben durch KEINE GEGENSEITIGE BEARGWÖHNUNG; wir betrachten unseren Mitbürger nicht mit Verdruß, wenn er frei SEINER NEIGUNG FOLGT, und verhängen über uns keine Bußen, die uns zwar an unserem VERMÖGEN KEINEN SCHADEN tun, aber doch das Auge verletzen.
  11. Während wir uns aber so in unserem persönlichen Verkehr nicht

    belästigen, enthalten wir uns in unserem öffentlichen Leben vornehmlich aus sittlicher Scheu jeder Übertretung der Gesetze und hören willig auf die jeweilige Obrigkeit und auf die Gesetze, und vornehmlich auf die unter ihnen, die zum Schutz der Unterdrückten bestimmt sind, so wie auf diejenigen, die, ohne schriftlich aufgezeichnet zu sein, in der öffentlichen Meinung Schande bringen.
  12. Sodann haben wir für die Seele zahlreiche Erholungen von der

    Anstrengung geschaffen. Wir feiern das ganze Jahr hindurch Wettkämpfe und Feste mit Opfern. In unseren Wohnungen aber lieben wir eine geschmackvolle Einrichtung, deren täglicher Reiz düsteres Wesen von uns fernhält. WEGEN DER GRÖSSE DER STADT aber wird uns aus der ganzen Welt alles, was wir wünschen, zugeführt. Wir können uns daher die Erzeugnisse anderer Länder ebenso wie die unseres Landes im Genuss aneignen.
  13. Wir unterscheiden uns aber auch in unseren Vorbereitungen auf den

    Krieg von unseren Gegnern. Wir öffnen nämlich allen den Zutritt zu unserer Stadt und suchen nicht gelegentlich durch Ausweisung von Fremden jemanden daran zu hindern, etwas zu lernen oder zu sehen, wovon, wenn es nicht verheimlicht wird, einer unserer Feinde Nutzen ziehen könnte. Denn wir vertrauen weniger auf Vorbereitungen und Heimlichkeiten als auf unseren eigenen Mut im Augenblick des Kampfes. Auch in der Erziehung erstreben jene gleich von Jugend auf in beschwerlicher Übung die Tapferkeit; wir dagegen leben ohne jenen Zwang und gehen gleichwohl mit dem selben Mut wie sie in Gefahren, in denen uns ein an Kräften gleicher Feind gegenübersteht.
  14. Hierfür dient dies als Beweis: Die Lakedaimonier kommen nicht allein,

    sondern immer nur mit ihrem ganzen Bundesheer in unser Land, wir dagegen wagen uns ganz allein [ohne Bundesgenossen] in das Land unserer Feinde und erringen meistens ohne große Mühe in fremdem Land den Sieg über Gegner, die für den eigenen Herd streiten. Mit unserer gesamten Streitmacht aber hat sich noch kein Feind gemessen, weil wir zugleich für unsere Flotte Sorge tragen und zu Land unsere Bürger zugleich nach vielen Seiten hin aussenden müssen. Wenn sie nun wo mit einem Teil von uns zusammentreffen und einige von uns besiegen, prahlen sie, als hätten sie allesamt zurückgeschlagen; wenn sie dagegen besiegt sind, als wären sie unserer gesamten Macht unterlegen.
  15. Wenn wir also nicht in mühseliger Vorübung, sondern leichten Herzens,

    und nicht auf Gesetze, sondern auf die Tüchtigkeit unseres Charakters vertrauend bereit sind, uns in Gefahr zu wagen, so haben wir jedenfalls den Vorteil, uns nicht um dereinstigen Ungemachs willen im voraus zu quälen, und doch – wenn wir in dasselbe kommen – uns ebenso mutig zu zeigen wie diejenigen, die sich fortwährend plagen. Doch unsere Stadt verdient nicht nur hierin, sondern auch in anderem Bewunderung.
  16. Denn wir lieben das Schöne mit Einfachheit und wir erfreuen

    uns am geistigen Genuss ohne Weichlichkeit; und wir machen von unserem Reichtum lieber im rechten Augenblick für das Leben Gebrauch, als daß wir in Worten damit prunken; und es ist für keinen eine Schande, seine Armut einzugestehen, vielmehr ist es eine Schande, ihr nicht durch Tätigkeit zu entrinnen. Und so sind unsere Staatsmänner ebenso geschickt, ihre eigenen Interessen wie die des Staates wahrzunehmen, und anderen, die sich dem gewerblichen Leben zugewendet haben, fehlte es gleichwohl nicht an Einsicht für die Angelegenheiten des Staates. Denn wir allein halten denjenigen, der an diesen gar keinen Teil nimmt, nicht für einen stillen und ruhigen, sondern für einen unbrauchbaren Bürger, und wir bilden uns entweder selbst ein richtiges Urteil über die Gegenstände oder beherzigen die Ratschläge anderer mit Einsicht. Denn wir sehen in vielfältiger Überlegung keinen Nachteil für das Handeln, wohl aber darin, daß man sich nicht lieber vorher durch reifliche Prüfung unterrichtet, ehe man, wo es nötig ist, zum Handeln schreitet.
  17. Denn auch das haben wir vor allen voraus, daß wir

    zugleich am meisten voll kühnen Mutes sind und bei unseren Unternehmungen am sorgfältigsten zu Rate gehen, während bei den anderen der Mangel an Überlegung Kühnheit, die Berechnung dagegen Zaghaftigkeit hervorruft.
  18. Für die geistig Tüchtigsten aber wird man mit Recht die

    erklären, die Gefahr und Genuss am klarsten erkennen, ohne deshalb vor Gefahren zurückzuschrecken.
  19. Auch an Adel der Seele stehen wir im Gegensatz zu

    den meisten. Denn wir suchen uns unsere Freunde zu erwerben, indem wir ihnen Gutes erweisen, nicht aber Gutes von ihnen empfangen. Man kann aber sicherer auf den rechnen, der Gutes erwiesen hat; denn er ist zu immer neuen Wohltaten bereit, um die Verpflichtung dessen, dem er sie erwiesen hat, nicht erlöschen zu lassen. Dagegen ist auf denjenigen weniger zu bauen, der nur eine Wohltat zu vergelten hat; denn er weiß, dass er nicht um Liebe zu gewinnen, sondern nur, um sich einer Verpflichtung zu entledigen, den Liebesdienst abtragen wird.
  20. Ferner gewähren wir allein anderen nicht mit Berechnung unseres Vorteils,

    sondern in dem einfachen Vertrauen freier Männer ohne Furcht unsere Unterstützung.
  21. Soll ich nun alles in wenigen Worten zusammenfassen, so ist

    einerseits die gesamte Stadt eine Bildungsstätte für Griechenland, andererseits wird, wie mir scheint, von unserem Geist beseelt der einzelne seine Person zugleich in größter Vielseitig- keit und anmutiger Gewandtheit tüchtig zeigen. Und daß dies nicht ein für den Augenblick bestimmter Prunk mit Worten, sondern tatsächliche Wahrheit ist, lehrt allein schon die Macht unserer Stadt, die wir dieser Eigentüm- lichkeit unseres Wesens zu verdanken haben. Denn sie allein übertrifft unter allen jetzigen Städten, da sie die Probe bestehen soll, ihren Ruf, und sie allein bietet weder dem angreifenden Feind Grund zum Unwillen, dass er solchem Gegner unterliege, noch dem Unterworfenen einen Grund zur Gering- schätzung, als sei er nicht von Würdigen beherrscht.
  22. Daher wird uns Mit- und Nachwelt mit Bewunderung betrachten; denn

    wir haben von unserer Macht großen Beweis gegeben und sie wahrlich nicht unbezeugt gelassen. Und so bedürfen wir keines Homers als Lobredners, noch sonst jemandes, der durch Dichtungen für den Augenblick ergötzt, während bald die tatsächliche Wahrheit alle jene Phantasiebilder zerstören wird. Meer und Land, die wir gezwungen haben, sich unserem kühnen Unternehmungsgeist aufzuschließen, und die ewigen Denkmale unserer Anwesenheit, im Guten und im Schlimmen, die wir überall gestiftet haben, werden unsere Zeugen sein.
  23. Für eine solche Stadt nun sind diese hier, um ihrer

    nicht beraubt zu werden, mannhaft im Kampf gefallen; für eine solche Stadt muss auch jeder der Zurückbleibenden bereit sein, sein Leben einzusetzen.
  24. Deswegen habe ich auch so ausführlich über unsere Stadt gesprochen.

    Ich wünsche zu zeigen, daß wir nicht um Gleiches kämpfen wie diejenigen, die nichts besitzen, was diesen unseren Vorzügen gleichkäme, und wünsche zugleich das Lob derer, denen ich hier die Grabrede halte, auf sichere Beweise zu gründen. Und in der Tat ist das Wichtigste davon hiermit gesagt. Denn mit dem, was ich zum Preis der Stadt gesagt habe, ist sie durch die Tugenden dieser und ähnlicher Männer geschmückt worden, und nicht bei vielen Hellenen dürfte, so wie be diesen hier Wort und Verdienst in Einklang stehen. Es scheint mir aber der nunmehr vollendete Lauf ihres Lebens eine wahrhafte Mannestugend an den Tag zu legen, indem ihr Ende besiegelt hat, was der Anfang verhieß.
  25. Denn freilich ist es schon bei denen, die sonst zurückstehen,

    recht und billig, die Mannhaftigkeit, die sie im Krieg für das Vaterland bewiesen haben, hochzuschätzen; denn sie haben Schlechtes durch Gutes in Vergessenheit gebracht und dadurch für das Ganze mehr genützt als durch ihre Persönlichkeit geschadet.
  26. Von diesen aber bedarf keiner einer solchen Entschuldigung. Denn keiner

    von ihnen hat, wenn er mit Reichtum gesegnet war, dessen längeren Genuss höher geachtet und sich dadurch zaghaft machen lassen. Keiner hat, wenn er von Armut gedrückt war, der Hoffnung Raum gegeben, daß er ihr vielleicht noch einmal entrinnen könne, und Aufschub des Todes gesucht; sondern sie haben mehr Verlangen getragen, sich an den Feinden zu rächen und, indem sie diese Gefahr als die schönste erachteten, gestrebt, auf diese Gefahr hin an jenen Rache zu nehmen und nach diesen Gütern zu ringen, so daß sie der Hoffnung zwar das Ungewisse des glücklichen Erfolges anheim stellten, in der Tat aber für das, was unmittelbar vor ihren Augen lag, nur auf sich selber ihr Vertrauen setzten. Indem sie nun hierbei Kampf und Tod für besser hielten als Unterwerfung und Leben, entgingen sie dem Schimpf der Nachrede und setzten in der Schlacht ihr Leben ein, und sind so in raschester Entscheidung des Schicksals mehr im Hochgefühl des Ruhmes als in der Angst des Todes geschieden.
  27. Und diese nun zeigten sich so würdig ihres Vaterlandes; die

    übrigen aber müssen, wenn sie auch glücklicher zu sein wünschen, doch mit nicht geringerem Mut gegen die Feinde erfüllt sein. Ihr habt nicht nötig, euch in bloßen Worten die Vorteile, die euch daraus erwachsen, vorführen zu lassen: Ihr wisst selbst ebenso gut, wie viel Nutzen es bringt, dem Feind mit Mut zu begegnen. Wozu bedarf es langer Worte hierüber? Ihr dürft nun die Macht der Stadt, wie sie euch täglich vor Augen steht, betrachten und ihr werdet von selbst in Liebe zu ihr erglühen. Ihr werdet dann, wenn sie euch groß zu sein scheint, beherzigen, dass dass dies alles durch Männer erworben wurde, die voll von Mut und Pflichtbewusstsein, und im Kampf von Ehrgefühl beseelt waren, durch Männer, die, wenn sie auch bei einem Unternehmen scheiterten, doch nicht glaubten, dem Vaterland den Schmuck ihres Heldenmutes entziehen zu dürfen, sondern demselben vielmehr die schönste Gabe zum Opfer darbrachten.
  28. So haben sie denn für das Ganze ihr Leben hingegeben

    und hierdurch für ihre Person ein unvergängliches Lob und das glänzendste Grabmal erworben, weniger das, in dem sie ruhen, sondern das, in dem ihr Ruhm bei jedem, der zufällig darauf geführt wird, im Augenblick der Rede wie der Tat unauslöschlich eingegraben steht.
  29. Und es spricht nicht bloß von ihren Grabsäulen im eigenen

    Land die Inschrift, sondern es lebt auch in fremden Landen das Gedächtnis an ihre Gesinnung viel mehr als an den Erfolg ihrer Taten ungeschrieben in jeder Brust. Nehmt diese euch jetzt zum Vorbild, und geht, indem ihr DAS GLÜCK IN DER FREIHEIT UND DIE FREIHEIT IM MUT sucht, den Gefahren des Krieges nicht aus dem Weg. Denn wenn schon diejenigen, die ein geplagtes Leben führen und keine Hoffnung auf Lebensgenuss haben, Grund haben, mit ihrem Leben schonungslos umzugehen: wie viel mehr müssen es diejenigen, die noch während ihres Lebens einen Wechsel nach der entgegen gesetzten Seite hin zu befürchten haben und bei denen es einen großen Unterschied ausmacht, wenn sie eine Niederlage erleiden.
  30. Denn für einen Mann von edler Gesinnung ist eine durch

    Zaghaftigkeit verschuldete Erniedrigung schmerzlicher als ein rascher Tod, der den Mann inmitten der Kraft und froher Hoffnungen für das Vaterland dahinrafft. Daher kann ich auch jetzt deren Eltern, so viele ihr davon hier zugegen seid, nicht beklagen, sondern will lieber Trost zusprechen. Denn sie wissen, daß sie ein wechselvolles Leben geführt haben Glücklich aber sind diejenigen, die wie diese hier das ruhmvollste Ende, die wie ihr aber, die ruhmvollste Trauer erlangen, und denen das Leben so zugemessen wurde, daß sich an ein glückliches Leben ein schöner Tod schließt. Zwar weiß ich, daß es schwer halten wird, euch davon zu überzeugen; denn ihr werdet oftmals in dem Glück anderer, welches einst auch euer Stolz war, an eure Lieben erinnert werden; und Trauer findet nicht statt bei Gütern, die man verliert noch ehe man sie recht genossen hat, sondern die einem entrissen werden, nachdem sich das Herz an sie gewöhnt hat.
  31. Dessen ungeachtet muss, wer noch in dem Alter steht, Kinder

    zu zeugen, in der Aussicht auf andere Kinder Standhaftigkeit beweisen; denn für jeden einzelnen werden die neuen Sprösslinge dazu dienen, die Verlorenen in Vergessenheit zu bringen, für den Staat aber wird daraus ein doppelter Vorteil erwachsen: er wird dadurch gegen Entvölkerung geschützt, er wird dadurch an Sicherheit gewinnen. Denn unmöglich kann, wer nicht gleichfalls bei der Gefahr, eigene Kinder einzusetzen, bei der Beratung für Freiheit und Recht in die Schranke treten. Wer aber bereits über die Jahre der Kraft hinaus ist, mag die größere Hälfte seines Lebens, in der er glücklich gewesen ist, als Gewinn betrachten gegen die kurze Frist, die er noch zu leben hat, und in deren Ruhm seinen Trost finden. Denn die Freude an Ehre vergeht allein nicht mit den Jahren und in dem kraftlosen Alter ist es nicht, wie man wohl sagen hört, das Geld, woran man sich erfreut, sondern die Ehre.
  32. Euch aber, deren Söhnen oder Brüdern, ist, wie ich sehe,

    eine schwierige Aufgabe gestellt; denn den Dahingeschiedenen pflegt jedermann zu loben, und selbst bei einem höheren Grad von Auszeichnung dürfte es euch kaum gelingen - nicht etwa jenen gleich, sondern selbst nur wenig schlechter geachtet zu werden. Denn während seines Lebens betrachtet man den Nebenbuhler mit Neid; steht er aber nicht mehr im Weg, so wird er mit aufrichtigem Wohlwollen geehrt. Soll ich aber auch noch kurz erwähnen, was den Frauen wohl anstehen wird, die nunmehr im Witwenstand leben werden, so kann ich alles in eine kurze Ermahnung zusammenfassen. Es ist für euch schon ein großes Lob, nicht schwächer zu sein, als die weibliche Natur es mit sich bringt, und wenn unter Männern im Guten wie im Schlechten von einer Frau so wenig wie möglich die Rede ist.
  33. So habe ich nun dem Gesetz gemäß gesprochen, was ich

    Angemessenes zu sagen hatte; und tatsächlich ist den Gefallenen teils bereits durch dies Begräbnis die wohlverdiente Ehre erwiesen, teils werden ihre Kinder von jetzt ab bis zu ihrer Mannbarkeit von der Stadt auf Staatskosten erzogen werden; es ist ein Ehrenkranz, den sie zum Segen des Vaterlandes diesen Gefallenen erteilt und den Zurückbleibenden für ähnliche Kämpfe in Aussicht stellt. Denn wo dem Verdienst die höchsten Kampfpreise winken, da erwachsen dem Staat auch die besten Bürger.