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Elternzeit

Sandra Cammann
October 01, 2014
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 Elternzeit

Die Reise unseres Lebens - mit dem Fahrrad und unseren beiden Kindern 10 Wochen an der amerikanischen Westküste von Seattle bis San Diego...

Sandra Cammann

October 01, 2014
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  1. Lara (6) und Felix (1) erfahren mit ihren Eltern zehn

    Wochen lang die USA – eine Familienreise der etwas anderen art Text: Sandra Cammann Fotos: Henning Cammann abenteuer F A M i l i e n a b e n t e u e r WILDER WESTEN MIT ZWEI KINDERN UND 450 PFUND GEPÄCK DURCH DIE USA H H H E in warmes Essen und ein Schlaf- platz. Das sind gerade die wichtigsten Dinge im Leben. Fernsehen, Spielzeug, Komfort – geschenkt! Viel wichtiger sind Schutzengel, Kraft und Mut. Zehn Wochen liegen vor uns und geschätzte 2500 Kilometer. Wir wollen von Seattle nach San Diego radeln, immer an der Pazifikküste entlang. Auf und ab geht es jeden Tag. Auch gefühlsmäßig. Jedes Rad wiegt samt Gepäck um die 60 Kilogramm, die Anhänger nochmals 60 bis 80 Kilo. Laut LKW-Waage kommen beide Gespanne samt Passagieren auf 450 Pfund! So schleppen wir uns mit Wind von vorne die Küstenstraßen hinauf. Unser zwölf Monate alter Sohn Fe- lix schläft im Kinderanhänger oder schaut abenteuer 50 outdoor family outdoor family 51
  2. den vorbeirauschenden Autos hinterher. Die sechsjährige Lara sitzt in ihrem

    Trailer namens „Hase Trets“ und tritt munter mit. Auf dem Fahrrad gegen den inneren Schweinehund anzukämpfen ist nicht die einzige Hürde, die wir in den zehn Wochen überwinden. Lara und Felix wollen rumtol- len und etwas erleben. Besonders Klein- Felix überschätzt immer mal wieder seine Fähigkeiten und will übers Wasser laufen oder mit den Autos auf der Straße spielen. Deswegen entscheiden wir uns für das klas- sische Modell: Henning kümmert sich um Fahrräder, Gepäck, Zelt sowie das leibliche Wohl – und ich passe auf die Kinder auf. K ilometerfressen ist alles andere als eine gute Idee. Wir planen zwischen 40 und nach einigen Wochen maximal 90 Kilo- meter pro Tag ein. Alle eineinhalb bis zwei Stunden legen wir eine Pause ein. Gleich nach dem Essen laufen und springen die Kinder um uns herum, sammeln Tannenzap- fen, kämpfen mit Stöck- chen oder fädeln Mu- schelketten auf. Sehen wir einen Spielplatz, machen wir dort Rast. Es gibt aber auch Tage, an denen wir un- möglich am Straßen- rand pausieren können, zum Beispiel wenn wir auf stark befahrenen Straßen oder im Küs- tengebirge unterwegs sind. Dann wird nur ein kurzer Stopp eingelegt – die Kinder bleiben angeschnallt und bekommen das Essen wie im „Drive-in“ direkt in die Hand gereicht. abenteuer Das gefällt kleinen Ent- deckern: große Eidechse auf dem Campingplatz. Stadt der Engel: In Los Angeles wartet ein XXL-Sandkasten auf die Kinder – also schnell raus aus dem Anhänger! Liegerad für kleine Co-Piloten: Im „Trets“ von Hase, einem Liegerad zum Ankoppeln ans elterliche Fahrrad, sind Kinder bestens aufgehoben. Sie können mittreten, schlafen – und sich bei Regen unterm Verdeck einmüm- meln. www.hasebikes.com Achten wir zu Hause auf eine gesunde Er- nährung, so gibt es nun Kohlenhydrate, was nur reinpasst. Morgens warmer Müslibrei oder Marmeladebrot, mittags Nudeln mit Tomatensoße, abends Weißbrot mit Käse und zwischendurch die besonders leckeren „Überlebenskekse“, die mit reichlich Kalori- en Kraft und Laune sichern. Übernachtun- gen vorzubuchen wird uns immer wieder empfohlen. Besonders an den Wochenen- den kann es sein, dass die Campingplätze voll belegt sind. An Vorbuchen ist an den meisten Tagen jedoch nicht zu denken. Wir können einfach nicht planen und müssen wegen kranker Kinder oder erschöpfter El- tern zusätzliche Pausentage einlegen. Zum Glück haben wir den Kinderbonus! Oft tref- fen wir hilfsbereite Menschen, die uns ein- laden, bei ihnen im Haus zu übernachten oder im Garten zu zelten. Zweimal campen wir sogar wild. Im Nachhinein die ruhigsten und schönsten Plätze der gesamten Tour. H in und wieder fällt Zähneputzen aus. Wird das Zelt spät aufgebaut, schlafen die Kinder meist schon, bevor der Schlaf- sack überhaupt ausgepackt ist. Im Zelt zu übernachten ist sowieso das Größte: Für Lara und Felix kann es gar nicht eng und ku- schelig genug sein. Endlich haben sie uns die ganze Nacht bei sich. Nicht einmal der Komfort eines Motelzimmers kann mit un- serem Zelt konkurrieren. Die leidige Anziehfrage am Morgen stellt sich während der ganzen zehn Wochen nicht. Laras Röckchen musste zu Hause bleiben, und für jedes Familienmitglied gibt es nur ein Wechselset Fahrradklamotten so- wie „normale“ Kleidung für Flug und Hotel. Mehr passt einfach nicht ins Gepäck – der restliche Stauraum ist für frisches Essen, Ge- tränke und Windeln reserviert. Bei den Kin- dern fahren zusätzlich noch zwei Teddys mit. Wobei es bei Lara öfters mal Tränchen gibt, weil sie ihre heißgeliebte Puppe vermisst. Gigantische Distan- zen sind die Amerika- ner gewohnt. Mit dem Auto. Aber niemand kann sich so richtig vorstellen, dass wir mit dem Fahrrad von Stadt zu Stadt fahren. Tatsächlich gibt es auf der Strecke Abschnit- te, die nicht nur lang, sondern auch vom Höhenprofil sehr anstrengend sind. Essen und Trinken müssen für mindestens drei Tage im Gepäck sein. Das macht es nicht unbedingt leichter. Solange die Sonne scheint, ist alles gut. Aber wehe, es fängt an zu regnen! Genau dieser Fall tritt ein, als wir den Staat Oregon verlassen und die ka- lifornische Grenze passieren: Es regnet den ganzen Tag wie aus Eimern. Lara bekommt schnell ein Spezialverdeck auf ihr Trets, Felix sitzt wie immer im Trockenen. Dort muss er nun allerdings mehrere Stunden verharren, und auch das Mittagessen wird in Sandwich-Form im Hänger verdrückt. Die Windeln wechseln wir sekundenschnell im Teamwork auf einer Plane am Wegesrand. Als wir von 1200 Fuß Höhe wieder her- unterrollen, wird die Sicht immer trüber und die Straße rutschig,. Dazu ist es bitter- kalt. Während ich sonst schimpfend am aus eigener Kraft Gigantische Distanzen bezwingen: Zwischen Seattle und San Diego setzt uns einer am meisten zu: der innere Schweinehund Der Weg ist das Ziel: Küstenstraße bei Big Sur in Kalifornien. Kaliforniens West- küste ähnelt einer überdimensionalen Berg-und-Tal-Bahn. Den Kindern kann es gar nicht eng und Kuschelig genug sein. Sie sind happy, dass wir alle vier in einem Zelt schlafen Das brauchen „Erfahrene“ Pedalritter My Zelt is my Castle: Das Saitaris vom schwedischen Zeltspezialisten Hilleberg ist ein sehr geräumiges und hochwertiges Familienzelt. Der Tunnel mutiert bei schlechtem Wetter zur wettergeschützten Outdoor-Küche. www.hilleberg.se Kinderanhänger für kleine Weltreisende: Stabil und bequem – der Kindercar ist der ideale Reisehänger. www.kindercar.de Packtaschen: Ortlieb-Taschen sind absolut wasserdicht, superrobust und bieten viel Stauraum. www.ortlieb.de 52 outdoor family
  3. abenteuer Anstieg stehe, kehrt sich bei Nässe alles ins Gegenteil

    um: Ich wünsche mir, dass es im- mer weiter bergauf geht – damit ich warm bleibe. Zum Glück wagt es keiner, die berühmte „Wann sind wir da?“-Frage zu stel- len. Ich habe nur einen ein- zigen Gedanken: Wir müs- sen die Kinder sicher ins Trockene bringen! Als wir am Tagesende un- ser Ziel erreichen, funktio- nieren wir die Dusche zum Wellnesstempel um. Heißes Wasser, eine warme Mahl- zeit und ein Dach über dem Kopf – diese kleinen Dinge sind es, die auf unserer Reise den ganz großen Luxus bedeuten. Fernseher und Spielzeug können da nie und nimmer mithalten! n Allgemeine Infos Durch die stark be- waldeten und teils sehr einsamen Bundesstaa- ten Oregon und Washington geht es immer an der Westküste entlang ins warme Kalifornien. Auf der Strecke von Seattle bis San Diego ist man fast ausschließlich auf zwei Straßen unterwegs: bis Legget in Nordkalifornien auf dem „Highway 101“, ab dort auf der „California 1“. beste reisezeit Für eine Tour entlang der gesamten Westküste ist der Zeitraum Juli bis September ideal. Leider ist in dieser Zeit auch der Urlaubsverkehr am stärksten. Küstentypisch kann oft Frühnebel auftreten, und es weht fast ständig Wind. Hauptwindrichtung ist Nord-West. AnReise z. B. Gabelflug Frankfurt–Seattle/ San Diego–Frankfurt mit KLM ab etwa 850 Euro. Tipps zur Tour Die Strecke ist als „Pa­ cific Coast Bicycle Route“ fast durchgängig sehr gut ausgeschildert und die Infrastruktur optimal auf die Bedürfnisse von Radlern angepasst. Es gibt ein dichtes Netz an Campingplätzen, u. a. spezielle „Hiker-Biker-Sites“ für etwa 5 Dollar/Person. Private Campingplätze kosten 30 bis 50 Dollar/Nacht. Übernachtungen (auch in Motels und Hotels) sollten besonders an den Wochenenden in der Ferienzeit vor- gebucht werden. Die Streckenführung verläuft zum Teil auf Nebenstraßen oder auf breiten Seitenstreifen und meist ständig bergauf und bergab. Wegen der Windrichtung und der seeseitig besseren Sicht emp- fiehlt sich die Streckenführung von Nord nach Süd. geheimtipps „17-Miles-Drive“ in Monterey mit Seehundbuchten – für Fahrradfahrer kostenlos. Ra- deln unter Baumriesen auf dem „Redwood Highway“ und der „Avenue of Giants“. Traumhafte Blicke auf San Francisco vom „Kirby Cove Campground“. Zelten am Pazifik unter Palmen am „Refugio State Beach“. Literatur Fahrradreiseführer: „Bicycling the Pacific Coast: A Complete Route Guide, Canada to Mexico“ von Vicky Spring und Tom Kirkendall. Land- karten: die „Bicycle Touring Maps“ der USA Adventure Cycling Association (www.adventurecycling.org) Reise-Infos www.visitcalifornia.de HeiSSes Wasser, eine Warme Mahlzeit und ein Dach über dem Kopf – so und nicht anders sieht wahrer Luxus aus Seehunde auf der kalifornischen Sonnenbank. Lara und Felix würden sich am liebsten dazulegen. „Gas parking only!“ Papa Henning beim Zwischenstopp an einer US-Zapfsäule. Info USA H