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Graduation Speech

jlxq0
June 25, 2009

Graduation Speech

The speech I gave at the end of my training a few years ago.

jlxq0

June 25, 2009
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Transcript

  1. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Eltern, liebe Lehrer, sehr

    geehrte Vertreter der Ausbildungsbetriebe, und natürlich liebe Schüler, Heute morgen, es wird so ungefähr 11 gewesen sein, hat mich der Rafael angerufen: „Du? Wir sollʻn doch da so ne Rede halten. ... Hasch Du da was?“ – „Ne.“ Aber was wären wir auch für Schüler, wenn wir gestern schon fertig gewesen wären. Und überhaupt: So schwer kannʻs ja auch nicht sein, so eine Rede zu schreiben. Wir machen einfach, was wir in der Schule gelernt haben. Wir gehen genau so vor, wie bei einem Referat auch: Wir gehn ins Internet. Suchen uns eine gute Rede. Schreiben die ein bisschen um. Wird schon passen. Also auf zu Wikipedia, Stichwort "berühmte Reden" und da waren sie dann auch schon. Lauter tolle Reden. Klingen alle sehr gut. Kleiner Haken: Hilfreich waren sie alle nicht. "Ich habe einen Traum. Einen Traum..." -- Ja klar, Träume habe ich öfters. Aber keine, die es wert sind, von ihnen zu berichten. Also weg damit... (Martin Luther King) In unserer Einleitung von "Blut, Schweiß und Tränen", die während der Ausbildung vergossen wurden, berichten? -- Klar, manchmal war es hart - Aber so hart eben auch nicht... (Winston Churchill) Der Toni, der hätte die Rede halten sollen. Der hätte wenigstens mit Fug und Recht sagen können "Ich bin ein Berliner." -- Ich bin Ketscher. ... Wirkt irgendwie nicht so. Und Sinn ergibts eh keinen... (John F. Kennedy) "Unsere Ausführungen mit dem ganzen heiligen Ernst und dem offenen Freimut, den die Stunde von uns erfordert, ausstatten und die in der Berufsschule erzogenen, geschulten und disziplinierten Schüler" ansprechen. -- Klingt gut. Aber wer zitiert schon gerne Goebbels?
  2. "Hallo, Wiesloch. Wenn es da draußen irgendjemand gibt, der noch

    zweifelt, dass die Johann Philipp Bronner Schule ein Ort ist, wo alles möglich ist, der sich noch fragt, ob der Traum unserer Schulleitung lebendig ist, der Fragen zur Kraft unseres Bildungssystems aufwirft, hat heute eine Antwort bekommen." -- Nicht schlecht. Vielleicht schon eher... (Barack Obama) "Ich danke Ihnen für Ihre freundliche Einladung. Ich empfinde sie als eine mutmachende Geste, welche aufrichtige Sympathie für die heutigen Absolventen und Besorgnis um deren tragisches Schicksal ausdrückt. Ich spreche heute zu Ihnen als einfacher Informatikkaufmann, der in unserer altüberlieferten Tradition geschult wurde.“ -- Auch nicht schlecht. Aber "tragisches Schicksal"? (Dalai Lama) "Lehrer und Absolventen! Furchtbar waren die drei Ausbildungsjahre, grauenhaft waren die Opfer, die die Schüler an Gut und Blut haben bringen müssen, die unglückselige Ausbildung ist zu Ende." -- Naaa. Das wäre ja komplett gelogen. ... Und ist Ihnen außerdem schon mal aufgefallen, dass die meisten Reden sich auf etwas Negatives beziehen? (Philipp Scheidemann) "Der Himmel dort droben, der seit unzähligen Jahrhunderten Tränen des Mitgefühls auf unsere Vorfahren geweint hat und uns ewig erscheint, kann sich dennoch stets verändern. Heute ist er schön," - da hamma jetzt endlich mal was Positives - "morgen schon kann er von Wolken bedeckt sein." -- Tja... (Häuptling Seattle) ... an der Stelle haben wir dann den Gedanken, eine herzergreifende, flammende Rede zu halten begraben und sind "zurück zu meinen Leisten" gekommen. Und ich hoffe, Sie entschuldigen, dass alles was jetzt folgt, etwas holpriger und kein rhetorisches Meisterwerk ist. Dafür ist es von uns persönlich. Ich will Ihnen von zwei Dingen erzählen. Zwei Dinge, die ganz sicher nicht in den Geschichtsbüchern stehen werden. Aber von zwei Dingen, die mich dennoch beeindruckt haben:
  3. Zum einen ist das die Vielfalt der Menschen, die hier

    ihren Abschluss gemacht haben. Während der ersten Wochen in der Klasse habe ich festgestellt, dass wir alle sehr unterschiedlich sind. Sehr viel unterschiedlicher, als ich das bisher aus meiner Schulzeit kannte. Ich war ja in einer IT-Klasse, es war also nicht verwunderlich, einige "Nerds" vorzufinden. Das meine ich nicht wertend. Es gab aber auch viele ganz "normale" Leute und wir hatten sogar das Glück, lauter hübsche junge Damen bei uns zu haben. Es gab bei uns Leute, die hier in Wiesloch aufgewachsen sind, die hier in Wiesloch zur Schule gingen, die hier ihren Abschluss gemacht haben und die hier nun in Zukunft arbeiten werden. Es gab aber auch Leute, die von weit her kamen. Ich glaube, man kann sogar ohne Übertreibung sagen, wir hatten Leute bei uns, die ihren Ursprung in fremden Kulturen haben. – Und damit meine ich nicht nur die Schwaben. Es gab Leute, die ganz offensichtlich aus gut betuchtem Elternhaus kommen und "das Kind der Familie" sind – noch immer; aber auch welche, die schon alleine wohnen und komplett auf ihren eigenen Beinen stehen, selbständig und völlig unabhängig von allen anderen. Es gab Leute bei uns, die waren noch sehr jung; so jung, dass sie am Anfang noch keinen Führerschein hatten und an die Schule gebracht wurden. Andere wiederum waren schon um die 30 und damit älter als ihre jüngsten ihrer Lehrer oder zumindest Referendare. Es gab Leute bei uns, die kamen mit ihrem allgemeinen Abitur vom Gymnasium – und ich habe mir im Vertrauen sagen lassen, der ein oder andere war sogar schon mal ein Semester an einer Uni, bevor er hier angefangen hat. Es gibt aber auch Leute bei uns, die von der Hauptschule kamen und dann, nach einem zusätzlichen Jahr, die Ausbildung hier angefangen haben.
  4. Aber trotz allem, trotz dieser teilweise doch extremen Unterschiede unter

    uns Schülern, saßen wir drei Jahre lang alle im selben Boot – sozusagen auf der "Gorch Fock" des Arbeitslebens – und sind – mal mit mehr, mal mit weniger Fahrt – in die selbe Richtung gesegelt. Während unserer Reise haben nur einige wenige ihren Kurs leicht geändert – die werden jetzt eben Industrie- und nicht IT-Kaufmann – und ich glaube, nur ein einziger ist nach dem ersten Jahr komplett zum Landei geworden. Rafael, erzähl uns etwas von der Reise! ... Das Zweite, worüber ich nachgedacht habe, und wovon ich erzählen möchte, ist ein Spruch von einem unserer Lehrer. Ich weiß nicht mehr, ob es gerade zum Thema gepasst hat, oder ob wir nur mal wieder eine kleinen Exkurs gemacht haben, aber wir hatten es von Gehältern und darüber, wer denn was wofür bekommt. Und da ließ der Spruch "Haja, als Lehrer verdient man je eh super" nicht lange auf sich warten. Der anwesende Lehrer – das war der Herr Bender, das kann man ja sagen – hat darauf dann sinngemäß geantwortet: "Das hört man ja oft, dass wir Lehrer ja quasi nur einen Halbtagsjob haben und dabei noch massig Geld verdienen. Viele Leute vergessen dabei aber, dass es nicht mein Job ist, einfach einen halben Tag hier vorne zu stehen und zu reden. Mal ganz davon abgesehen, dass das natürlich auch vorbereitet sein will, ist es viel mehr mein Job, Euch die Dinge so darzulegen, dass ihr sie nicht nur hört, sondern auch versteht. Und ich bekomme mein Geld nicht nur dafür, dass ich Euch ein bisschen was über den Stoff erzähle, sondern dafür, dass ich das so erzähle, dass es auch die Langsameren kapieren, ohne dass sich die Schnelleren gleich langweilen. Ich bekomme mein Geld dafür, dass ich hier vorne den Entertainer spiele, dafür, dass ich Euch bei Laune halte. Und ich bekomme mein Geld dafür, dass ich quasi so eine Art "persönliche Lebensberatung" für die Wehwehchen eines jeden einzelnen bin."
  5. Wie er das so gesagt hat, der Herr Bender ...

    ein bisschen flapsig ... haben wir alle erst mal gelacht. -- (so wie sie eben) -- Aber noch während wir gelacht haben, ist dem ein oder anderen glaube ich schon aufgegangen, dass da viel dran ist. In der Tat war es so, dass wir in der Schule doch sehr viel mehr gelernt haben, als nur den Unterrichtsstoff. Wir haben unheimlich viel über, so zu sagen, "Gott und die Welt" diskutiert; oft über die Dinge, die vermeintlich so gar nichts mit dem Unterricht zu tun hatten. Ich muss jetzt ein bisschen aufpassen wie ich das formuliere... Nicht dass der Herr Bender noch Ärger mit seinem Chef bekommt, weil der denkt wir haben nur Blödsinn gemacht. Das will ich damit gar nicht sagen und das war auch nicht so! Wir haben natürlich den ganz normalen Stoff durchgenommen und das mit großem Erfolg – wie sich ja gerade gezeigt hat. Wir haben aber eben noch so viel mehr gelernt. Und das gilt jetzt natürlich für alle Lehrer. Wir haben so oft über Dinge diskutiert, die nur am Rande mit dem Unterricht zu tun hatten, oder vielleicht manchmal auch gar nicht. Wir haben so viele Dinge gelernt, und dabei oft überhaupt nicht gemerkt, was wir da gerade wichtiges beigebracht bekommen. Ich würde sagen: Wir haben gelernt ... für das Leben! Und dafür möchte ich mich bei all unseren Lehren im Namen der gesamten Klasse ganz herzlich bedanken. Dafür dass wir so viel gelernt haben. Dafür dass wir so viel Spaß dabei hatten. Und dafür, dass Sie alle – auch weit über den Unterricht hinaus – immer für uns da waren; dass Ihnen keine Frage zu blöd und kein Thema zu abwegig war, um es mit uns zu erörtern. Vielen Dank!
  6. Liebe Mitschüler, Wir saßen jetzt, um dieses Bild wieder aufzugreifen,

    drei Jahre lang gemeinsam im selben Boot. Und jetzt wir haben alle erst Mal den sicheren Hafen erreicht. Für die meisten von uns ist jetzt wahrscheinlich erst mal ein paar Wochen Landurlaub angesagt, bevor es dann wieder gilt, die Segel zu setzen, in See zu stechen und volle Fahrt aufzunehmen. Dieses Mal mit ganz unterschiedlichen Kursen. Ich bin überzeugt davon, dass wir uns alle mal wieder über den Weg laufen. Manche als Matrosen auf kleineren Booten, vielleicht auf eigenen, manche als Matrosen auf großen Schiffen. Und einen oder zwei von uns – da bin ich mir fast sicher – wird man irgendwann mal mit 4 Streifen auf der Schulter wieder sehen. Vielen Dank für die schöne Zeit mit Euch. Viel Erfolg für die Zukunft! Und Ihnen vielen Dank fürs Zuhören!