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Die Geschichte des Antarctic Snow Cruisers

Michael Jendryschik
September 20, 2016

Die Geschichte des Antarctic Snow Cruisers

Dr. Thomas C. Poulter (1897–1978) war ein Wissenschaftler und Antarktisforscher und 1933–1935 leitender Wissenschaftler der zweiten Antarktis-Expedition des US-amerikanischen Generals und Polarforschers Richard E. Byrd. Dort erlebte er, wie schwierig es war, bei Temperaturen weit unter Null und teilweise bei Dunkelheit weite Strecken durch Schnee und Eis zurückzulegen. Daraufhin konstruierte er ein gewaltiges Schneefahrzeug für Byrds nächste große Antarktisexpedition: den Antarctic Snow Cruiser.

Dr. Poulter war selbst jahrelang in der Antarktis und entwickelte die Idee seines Transportfahrzeugs, das unter den widrigen Bedingungen im ewigen Eis bestehen konnte, direkt vor Ort und auf Basis seiner eigenen Erfahrungen. Dennoch scheiterte er mit seinem Projekt auf ganzer Linie.

Die Geschichte des Antarctic Snow Cruisers ist sowohl Komödie, als auch Tragödie. Sie lässt sich am besten anhand der folgenden Bilder erzählen, sonst ist sie schwer zu glauben.

Michael Jendryschik

September 20, 2016
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Transcript

  1. Dr. Thomas C. Poulter (1897–1978 ) war ein Wissenschaftler und Antarktisforscher. Er war
    wissenschaftlicher Leiter der Armour Research Foundation (dem späteren Illinois Institute of
    Technology) sowie Associate Director des Stanford Research Institute.
    Von 1933–1935 war Poulter leitender Wissenschaftler der zweiten Antarktis-Expedition des
    US-amerikanischen Generals und Polarforschers Richard E. Byrd. Dort erlebte er, wie schwierig
    es war, bei Temperaturen weit unter Null und teilweise bei Dunkelheit weite Strecken durch
    Schnee und Eis zurückzulegen.
    An der Armour Research Foundation konstruierte er daraufhin ein gewaltiges Schneeketten-
    Fahrzeug für Byrds nächste große Antarktisexpedition: den Antarctic Snow Cruiser.
    Quelle: http://www.joeld.net/snowcruiser/snowcruiser.html

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  2. In Konkurrenz zu Nazi-Deutschland, das 1938 angeblich selbst eine Südpol-
    Expedition ausrüstete, war die US-Regierung bereit, hohe finanzielle Mittel für eine
    dreijährige Antarktis-Expedition bereitzustellen – insgesamt 350.000 USD, was nach
    heutigem Maßstab etwa 6,1 Mio. USD entspricht. Allein 150.000 USD, also etwa 2,6
    Mio. USD heute, kosteten die Entwicklung und der Bau des Snow Cruisers.
    Quelle: http://www.welt.de/kultur/history/article2834129/Als-Hitlers-Hakenkreuzfahne-am-Suedpol-wehte.html

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  3. Quelle: http://www.diseno-art.com/news_content/2014/03/the-antarctic-snow-cruiser-it-didnt-do-what-it-said-on-the-tin/
    Der Snow Cruiser wurde als Transportfahrzeug,
    Forschungsstation und Mannschaftsquartier entworfen,
    in dem eine fünfköpfige Besatzung ein Jahr lang autark die
    Antarktis befahren und erforschen könnte.

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  4. Quelle: http://www.diseno-art.com/news_content/2014/03/the-antarctic-snow-cruiser-it-didnt-do-what-it-said-on-the-tin/
    Geplant wurden eine Dunkelkammer zur Entwicklung
    von Fotos, ein Labor, ein Karten- und Funkraum, eine
    komplett eingerichtete Küche und eine Werkstatt.

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  5. Quelle: http://offroadclub.ru/faq/history/snow_cruiser.html
    Auf dem Rücken des Snow Cruisers sollte ein
    Beechcraft-Flugzeug mitgeführt werden, das
    Luftbilder der noch unbekannten Antarktis machen
    und dem Snow Cruiser den Weg weisen sollte.

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  6. Quelle: http://www.theatlantic.com/photo/2016/01/the-antarctic-snow-cruiser-updated/424851/
    Eines der Modelle, anhand derer
    Dr. Poulter die besonderen Fähigkeiten
    des Snow Cruisers demonstrierte, hier
    das Überwinden von Spalten im Eis.

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  7. Der Bau des Snow Cruisers durch den Eisenbahnwagen-
    Hersteller Pullmann Standard Car Company aus Chicago, Illinois,
    begann im Juli 1939, und zwar unter massivem Zeitdruck.
    Quelle: http://www.joeld.net/snowcruiser/snowcruiser.html

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  8. Das Expeditionsschiff, das den Snow Cruiser in die
    Antarktis transportieren sollte, musste spätestens
    im folgenden Januar im Zielgebiet ankommen,
    sonst hätte der Polarwinter die Reise unmöglich
    gemacht und somit um fast ein Jahr verzögert.
    Quelle: http://www.joeld.net/snowcruiser/snowcruiser.html

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  9. Quelle: http://www.theatlantic.com/photo/2016/01/the-antarctic-snow-cruiser-updated/424851/
    Im Oktober 1939 wurde der Snow Cruiser fertiggestellt – nach
    11 Wochen Bauzeit. Hier ein Foto vom 24. Oktober bei einer der
    ersten Fahrten außerhalb der Fertigungshallen. Das Fahrzeug war
    über 15 m lang, über 5 m breit und ohne Flugzeug 4,4 m hoch.
    Voll ausgerüstet und betankt wog es etwa 34 t.

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  10. Quelle: http://www.diseno-art.com/news_content/2014/03/the-antarctic-snow-cruiser-it-didnt-do-what-it-said-on-the-tin/
    Bis zur Abfahrt des Schiffes blieben noch 19 Tage, in denen der
    Snow Cruiser von seiner Fertigungsstätte in Chicago nach Boston,
    Massachusetts, gefahren werden musste, um von dort aus in die
    Antarktis verschifft zu werden – eine Strecke von rund 1.600 km.

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  11. Quelle: http://www.theatlantic.com/photo/2016/01/the-antarctic-snow-cruiser-updated/424851/
    Da es kein Fahrzeug gab, das den Snow Cruiser hätte
    transportieren können, musste er die lange Strecke selbst
    zurücklegen. Dabei erfolgten unterschiedliche Tests, so hier in der
    Wüste nahe Gary, Indiana, wo der Snow Cruiser über Sanddünen
    gefahren wurde – teilweise mit erheblichen Schwierigkeiten.

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  12. Quelle: http://www.theatlantic.com/photo/2016/01/the-antarctic-snow-cruiser-updated/424851/
    Eine Aufnahme des Snow Cruisers in Framington,
    Massachusetts, inmitten eines mehr 30 km langen Staus.
    Der Snow Cruiser war so groß, dass viele Straßen für den
    normalen Verkehr gesperrt werden mussten.

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  13. Quelle: http://www.diseno-art.com/news_content/2014/03/the-antarctic-snow-cruiser-it-didnt-do-what-it-said-on-the-tin/
    In allen größeren Städten auf dem Weg wurden der
    Snow Cruiser und seine Crew wie Popstars gefeiert.

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  14. Zu dieser Zeit begannen nahezu euphorische
    Berichterstattungen über den Snow Cruiser und
    dessen Mission, die zu einer breiten
    Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit führen.
    Quelle: http://blog.hemmings.com/index.php/2011/01/16/sia-flashback-byrds-big-bertha-the-ultimate-snowmobile/

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  15. Quelle: http://blog.hemmings.com/index.php/2011/01/16/sia-flashback-byrds-big-bertha-the-ultimate-snowmobile/

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  16. Illustrationen, die an Werbekampagnen erinnern;
    der Snow Cruiser als Superheld der Technik.
    Quelle: http://theoldmotor.com/?p=111903

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  17. Quelle: http://www.carsablanca.de/Magazin/perlen-des-wissens/snow-cruiser-der-teure-flop-des-dr-poulter
    Die Wirklichkeit sah anders aus. Auf einer Kuhweide in der Nähe von Gomer, Ohio,
    sollte der Snow Cruiser zum Test einen etwa drei Meter breiten Bach überqueren,
    der eine Gletscherspalte simulieren sollte. Das gelang nicht, stattdessen blieb der
    Snow Cruiser im Schlamm stecken. Nach fast drei Tagen gelang es, ihn unter den
    Augen von Hunderten von Schaulustigen zurück auf die Straße zu ziehen.

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  18. Aufgrund eines Lenkungsschadens fuhr der Snow Cruiser
    auf dem Lincoln Highway gegen eine kleine Brücke. Auch
    hier kam es zu fast drei Tagen Verzögerung.
    Quelle: http://theoldmotor.com/?p=111903

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  19. Quelle: http://www.diseno-art.com/news_content/2014/03/the-antarctic-snow-cruiser-it-didnt-do-what-it-said-on-the-tin/
    Auf dem Highway. Der Snow Cruiser wurde für
    Geschwindigkeiten bis zu 25 mph konstruiert,
    schaffte aber lediglich 20 mph, rund 32 km/h.

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  20. Quelle: http://www.theatlantic.com/photo/2016/01/the-antarctic-snow-cruiser-updated/424851/
    Pressetermin am Hafenbecken in Boston, November 1939. Der Snow
    Cruiser erreichte den Hafen rechtzeitig – trotz aller Pleiten und Pannen.

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  21. Quelle: http://www.theatlantic.com/photo/2016/01/the-antarctic-snow-cruiser-updated/424851/
    Die Expeditionsteilnehmer begannen damit, den Snow Cruiser für die Verladung auf Deck der
    »North Star« vorzubereiten. Die Arbeiten wurden von Hunderten von Zuschauern begleitet.

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  22. Hier endete die Pannenserie aber nicht, ganz im Gegenteil: Der
    Snow Cruiser passte gerade eben auf Deck, und auch erst, nachdem
    man das Heck mit Schneidbrennern um ein Stück gekürzt hatte.
    Quelle: http://theoldmotor.com/?p=111903

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  23. Quelle: http://theoldmotor.com/?p=111903

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  24. Quelle: http://www.theatlantic.com/photo/2016/01/the-antarctic-snow-cruiser-updated/424851/
    Die »North Star« erreichte die Bucht der
    Wale am 15. Januar 1940. Auf dem Foto
    sieht man die Holzrampe, die gebaut
    wurde, um den Snow Cruiser zu entladen.

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  25. Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=avCuZacklEo
    Allerdings war die Rampe zu schwach konstruiert, um die 34 t Gesamtgewicht
    des Snow Cruisers zu tragen. Ein Video, das auf YouTube zugänglich ist, zeigt,
    wie die Entladung fast in einem Desaster geendet hätte.

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  26. Quelle: http://www.theatlantic.com/photo/2016/01/the-antarctic-snow-cruiser-updated/424851/
    Die vollkommen zerstörte Holzrampe
    nach der knapp geglückten Entladung.

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  27. Quelle: http://www.theatlantic.com/photo/2016/01/the-antarctic-snow-cruiser-updated/424851/
    Die »Jungfernfahrt« des Antarctic Snow Cruisers
    im ewigen Eis, unmittelbar nach der Entladung.

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  28. Quelle: http://www.theatlantic.com/photo/2016/01/the-antarctic-snow-cruiser-updated/424851/
    Die Crew, aufgenommen am
    20. September 1940. Von links:
    C.W. Griffith, Mechaniker;
    F. A. Wade, Wissenschaftler;
    F. L. Ferranto, Funker;
    T. A. Petras, Pilot des Flugzeugs.

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  29. Quelle: http://www.thule.org/snowcruiser.html

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  30. Quelle: http://www.theatlantic.com/photo/2016/01/the-antarctic-snow-cruiser-updated/424851/
    Schnell zeigen sich erste Probleme: Die
    Reifen des Snow Cruisers hatten nicht
    genügend Grip und müssen durch
    provisorische Schneeketten aufgerüstet
    werden. Das Getriebe war im ersten
    Gang zu lang übersetzt. Darüber hinaus
    funktionieren die Radmotoren bei den
    Temperaturen 45 °C unter Null nicht
    mehr. Hier sieht man, wie Crew-Mitglied
    Ferranto versucht, sie mit einem Brenner
    wieder auf Funktionstemperatur zu
    bringen.

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  31. Quelle: http://www.theatlantic.com/photo/2016/01/the-antarctic-snow-cruiser-updated/424851/
    Auch die Schneeketten behoben die Antriebsprobleme nicht
    vollends. Die Crew fand heraus, dass der Snow Cruiser am besten
    vorwärts kam, wenn man ihn rückwärts fuhr. So wurde auch die
    längste Strecke, die der Snow Cruiser jemals gefahren ist, rund 150
    km durch Schnee uns Eis, vollständig im Rückwärtsgang zurückgelegt.

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  32. Quelle: http://www.theatlantic.com/photo/2016/01/the-antarctic-snow-cruiser-updated/424851/
    Auf festem Schnee und Eis kam der Snow Cruiser nicht gut voran, und für Fahrten im tiefen
    Schnee war es schlichtweg zu schwer, weshalb er ständig tief einsank.
    Am 22. Dezember 1940 wurde der Snow Cruiser aufgegeben und im ewigen Eis abgestellt.

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  33. Quelle: http://www.theatlantic.com/photo/2016/01/the-antarctic-snow-cruiser-updated/424851/
    Der fast vollständig eingeschneite Snow Cruiser.

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  34. Quelle: http://www.theatlantic.com/photo/2016/01/the-antarctic-snow-cruiser-updated/424851/
    Fortan wurde der Snow Cruiser als stationäres
    Lager und Mannschaftsquartier weitergenutzt.

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  35. In den späten 1940er Jahren sowie 1958 fanden mehrere Expeditionen in die
    Antarktis statt, von denen zwei den zurückgelassenen Snow Cruiser entdecken
    konnten. Sie legten ihn mit einem Bulldozer frei und fanden ihn unversehrt in
    genau dem Zustand, in dem das Team ihn Ende 1940 verlassen hat.
    Spätere Expeditionen fanden keine Spur des Snow Cruisers mehr. Über sein
    Verbleib gibt es unterschiedliche Vermutungen: Wahrscheinlich ist er entweder
    unter Schnee und Eis begraben oder wurde durch das antarktische Schelfeis
    abgetrieben und liegt irgendwo am Grund des Ozeans – vielleicht für immer.
    Quelle: http://offroadclub.ru/faq/history/snow_cruiser.html

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  36. Recherchiert, zusammengestellt und beschrieben von
    Michael Jendryschik
    http://jendryschik.de
    20. September 2016

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